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Endometriose: das Chamäleon der Gynäkologie

Zehn bis 15 Prozent der Frauen leiden an Endometriose, einer gutartigen hormonabhängigen Erkrankung. Bis zur Diagnose der oft mit starken Schmerzen verbundenen Erkrankung vergehen meist viele Jahre. Wir sprachen mit Dr. Leoni Matt, Ärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe sowie ärztliche Leiterin bei FEMNA.

BKKiNFORM: Frau Dr. Matt, was ist Endometriose – und wie häufig kommt sie vor?

Dr. Leoni Matt: Endometriose ist eine chronische, hormonabhängige Erkrankung, bei der gebärmutterschleimhautähnliches Gewebe außerhalb der Gebärmutter wächst. Dieses Gewebe kann sich beispielsweise an den Eierstöcken, dem Bauchfell oder der Blase ansiedeln. Es reagiert auf den Menstruationszyklus, baut sich auf und ab und kann zyklisch bluten. Das kann zu Entzündungen, Schmerzen und auch zu Verwachsungen oder Zysten führen. Etwa zehn bis 15 Prozent aller menstruierenden Frauen und Personen mit Uterus sind betroffen, bei Personen mit unerfülltem Kinderwunsch liegt die Häufigkeit sogar höher, wir schätzen bei bis zu 50 Prozent. Die Erkrankung bleibt oft lange unerkannt – im Durchschnitt dauert es sieben bis zehn Jahre bis zur Diagnose.

Welche Anzeichen deuten auf eine Endometriose hin?

Dr. Leoni Matt: Typische Beschwerden sind starke Regelschmerzen, chronische Schmerzen im Unterbauch, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr oder beim Wasserlassen und Stuhlgang. Verdächtig ist es vor allem, wenn diese Beschwerden zyklisch auftreten. Auch ein unerfüllter Kinderwunsch kann ein Hinweis sein. Das Herausfordernde an Endometriose ist aber, dass die Symptome wirklich sehr unterschiedlich aussehen können – man nennt Endometriose auch das Chamäleon der Gynäkologie. Wenn Schmerzen den Alltag beeinträchtigen oder regelmäßig Schmerzmittel nötig sind, sollte auf jeden Fall ärztlicher Rat eingeholt werden.

Welche Folgen kann Endometriose haben?

Dr. Leoni Matt: Endometriose kann zahlreiche körperliche und psychische Folgen haben, die weit über Regelschmerzen hinausgehen. Viele Betroffene leiden unter chronischen Schmerzen. Auch Organe wie Darm und Blase können betroffen sein. Endometrioseherde an diesen Stellen können die Funktion dieser Organsysteme einschränken. Ein anderes wichtiges Thema ist die Fruchtbarkeit. Die Erkrankung kann durch Entzündungen und Verwachsungen die natürliche Empfängnis beeinträchtigen. Neben den körperlichen Symptomen wirkt sich Endometriose zudem auf die psychische Gesundheit aus. All diese Aspekte zeigen: Endometriose ist eine komplexe, systemische Erkrankung, die individuell und ganzheitlich behandelt werden sollte.

Das sind ja schon massive Belastungen für die betroffenen Frauen.

Dr. Leoni Matt: Ja, die Lebensqualität kann in vielerlei Hinsicht stark beeinträchtigt sein – oft über viele Jahre hinweg. Besonders belastend sind die chronischen Schmerzen, die nicht nur während der Menstruation, sondern auch unabhängig vom Zyklus auftreten können. Viele Betroffene erleben zusätzlich eine anhaltende körperliche Erschöpfung (Fatigue), die den Alltag massiv einschränkt. Dies kann dazu führen, dass sie normalen Aktivitäten im Berufsleben, im Studium oder im Sozialleben nicht mehr wie gewohnt nachgehen können.

Wie steht es um die psychische Belastung?

Dr. Leoni Matt: Wiederkehrende Operationen, die Auseinandersetzung mit den Schmerzen, sozialer Rückzug oder auch das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden, können zu depressiven Verstimmungen oder Angstzuständen führen. Besonders frustrierend ist für viele der oft lange Weg bis zur Diagnose. Eine Zeit, in der Beschwerden häufig verharmlost oder falsch gedeutet werden. Auch die Partnerschaft und Sexualität sind häufig betroffen. Schmerzen beim Geschlechtsverkehr oder ein unerfüllter Kinderwunsch können hier sehr belasten.

Welche Risikofaktoren begünstigen die Entstehung?

Dr. Leoni Matt: Die genaue Ursache der Endometriose ist nicht vollständig geklärt. Wir gehen von einem komplexen Zusammenspiel aus genetischen, immunologischen und hormonellen Faktoren aus. Es gibt aber mehrere bekannte Risikofaktoren. Eine genetische Veranlagung spielt eine wichtige Rolle: Frauen mit betroffenen Verwandten – etwa Mutter oder Schwester – haben ein deutlich erhöhtes Erkrankungsrisiko. Auch hormonelle Einflüsse wie eine frühe erste Regelblutung, kurze Zyklusintervalle und starke Blutungen scheinen das Risiko zu erhöhen. Ebenso gelten eher höheres Alter bei der ersten Geburt oder gar keine Schwangerschaften in der Vorgeschichte als begünstigende Faktoren, da Schwangerschaften und Stillzeiten die Anzahl der Eisprünge und damit die Aktivität der Schleimhaut senken können. Zudem werden Umweltgifte und bestimmte Lebensstilfaktoren wie zum Beispiel Rauchen als mögliche Einflussfaktoren diskutiert, aber die Studienlage hierzu ist nicht eindeutig.

Wie wird Endometriose diagnostiziert?

Dr. Leoni Matt: Die Diagnostik beginnt mit einer ausführlichen Befragung und einer gynäkologischen Untersuchung. Eine Ultraschalluntersuchung kann gute Hinweise geben, und in manchen Fällen wird für mehr Klarheit eine MRT-Untersuchung eingesetzt. Die ganz sichere Diagnose kann über eine Bauchspiegelung (Laparoskopie) erfolgen, bei der Gewebeproben entnommen und untersucht werden können. Das ist aber nicht immer notwendig, oft kann auch mit einer guten Untersuchung schon relativ sicher gesagt werden, dass es sich um Endometriose handelt. Eine frühzeitige Diagnostik ist extrem wichtig, da es für den Verlauf der Erkrankung von Bedeutung ist, Beschwerden zu lindern und Komplikationen wie starke Verwachsungen möglichst zu vermeiden.

Ist Endometriose heilbar?

Dr. Leoni Matt: Eine vollständige Heilung ist derzeit nicht möglich, was auch daran liegt, dass wir den Grund für Endometriose immer noch nicht genau kennen. Die Erkrankung kann also momentan nur kontrolliert werden. Auch nach einer Operation besteht theoretisch die Chance, dass die Erkrankung „zurückkommt“. Eine langfristige, interdisziplinäre Begleitung ist sehr wichtig, um solchen Rückfällen bestmöglich vorzubeugen.

Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?

Dr. Leoni Matt: Die Behandlung der Endometriose erfordert ein individuell abgestimmtes Vorgehen, da die Erkrankung sehr unterschiedlich verlaufen kann und jede Frau andere Beschwerden, Lebenssituationen und Wünsche hat. Verschiedene Therapieansätze stehen zur Verfügung, die sich ergänzen und oft kombiniert werden. Die hormonelle Therapie verfolgt das Ziel, das Wachstum der Endometrioseherde zu hemmen und so die Beschwerden zu lindern. Dabei kommen meist Gestagene oder Kombinationspräparate zum Einsatz, die den natürlichen Zyklus unterdrücken und damit auch die hormonabhängige Aktivität der Endometriose reduzieren. Diese Therapieform eignet sich besonders gut zur langfristigen Symptombehandlung, ist aber nicht für alle Frauen geeignet – zum Beispiel nicht bei aktuellem Kinderwunsch. Operative Eingriffe können notwendig sein, wenn die Beschwerden stark sind oder wenn die Endometriose die Fruchtbarkeit beeinträchtigt. Dabei werden die Endometrioseherde minimalinvasiv per Bauchspiegelung möglichst vollständig entfernt. Ziel soll es sein, Schmerzen zu reduzieren, eventuelle Verwachsungen zu lösen und die Anatomie im Beckenraum zu verbessern. Grundsätzlich braucht Endometriose einen ganzheitlichen Ansatz, wir nennen das auch ein multimodales Therapiekonzept, welches verschiedene Aspekte berücksichtigt: Betreuung durch die Gynäkologie, Schmerztherapie, psychologische Unterstützung, Ernährungstherapie und Physiotherapie. Dieser Ansatz hilft nicht nur, die Lebensqualität zu verbessern und mit der chronischen Erkrankung besser umzugehen, sondern soll auch zu nachhaltigen Behandlungserfolgen führen.

Kann ein gesunder Lebensstil helfen?

Dr. Leoni Matt: Eine gesunde Lebensweise kann unterstützend wirken, das zeigen Studien. Dazu gehören Bewegung, Stressreduktion, Ernährung mit entzündungshemmendem Fokus, ausreichend Schlaf und der Verzicht auf Rauchen. Auch Achtsamkeitsübungen, Yoga oder Akupunktur können helfen, mit Beschwerden umzugehen oder diese zu lindern. Es ist aber wichtig zu sagen, dass wir nicht die Verantwortung für die Kontrolle der Endometriose auf die Betroffenen abwälzen dürfen, die Lebensstilfaktoren sind vielmehr ein Teil, den wir ergänzend haben, um dieser chronischen Erkrankung bestmöglich zu begegnen.

Woran wird zu Endometriose derzeit geforscht?

Dr. Leoni Matt: Es wird an nicht-hormonellen Wirkstoffen geforscht. Auch immunologische Ansätze und die Rolle des Mikrobioms werden untersucht. Zudem wird versucht, Biomarker zur früheren Diagnostik weiterzuentwickeln. Trotzdem fehlt es noch immer an ausreichenden Ressourcen, um diese Forschung konsequent voranzutreiben. Obwohl Endometriose eine häufige chronische Erkrankung ist, ist sie unterfinanziert und unterpriorisiert. Es braucht dringend mehr Investitionen in Forschung, Aufklärung und Versorgungsstrukturen, um die Gesundheit von Millionen betroffener Menschen nachhaltig zu verbessern.

Wie unterstützt FEMNA Frauen mit Endometriose?

Dr. Leoni Matt: Bei der Behandlung der Endometriose braucht es eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Gynäkologie, Ernährungsberatung, Physiotherapie, Schmerzmedizin und auch psychologische Unterstützung. Teile dieser Versorgung können natürlich auch digital und dezentralisiert stattfinden, so dass Patientinnen direkt auf den von ihnen benötigten Input zugreifen können und Unterstützung erfahren oder wissen, wohin sie sich wenden können. Mit FEMNA Care führen wir über ein hybrides Angebot, also digitaler Aufklärung und individuellen Beratungsgesprächen durch Ernährungsexpertinnen, Physiotherapeutinnen oder durch psychologische Unterstützung, verschiedene Handlungsstränge zusammen. Wir geben den Patientinnen Aufklärung und Anlaufstellen an die Hand, so dass der Zeitraum bis zur Diagnose verkürzt sowie die Ausbildung schwerer Fälle vermieden werden kann und Betroffene für ihre Lebensqualität von einer ganzheitlichen Perspektive profitieren können.

Vielen Dank für das Interview, Frau Dr. Matt!