GesundesWissen

Was es braucht, um glücklich alt zu werden

1964 war das geburtenstärkste Jahr in der Geschichte Deutschlands und damit der Höhepunkt der Babyboom-Jahre. Mehr als 1,3 Millionen Kinder kamen in Ost- und Westdeutschland auf die Welt. In diesem Jahr werden sie 60. Was dazu beiträgt, das Altern positiv zu erleben, erforscht Dr. Irina Catrinel Crăciun, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam und Privatdozentin an der Freien Universität Berlin.

BKKiNFORM: 22 Millionen Menschen und damit mehr als ein Viertel der Deutschen sind 60 Jahre und älter. Alt werden wollen viele, alt sein allerdings kaum jemand. Warum ist das so, Frau Dr. Crăciun?

Dr. Irina Catrinel Crăciun: Das Bild vom Altsein ist bei den meisten Menschen in unserer Gesellschaft negativ geprägt: Krankheit, Vereinsamung, Armut und Veränderungen bedeuten in aller Regel eine Verschlechterung des Zustands. Die jüngere medizinische Forschung hat gezeigt, dass dieses Bild vom Alter als ein nicht mehr zu positiver Entwicklung fähiger Prozess falsch ist. Das Gehirn zum Beispiel ist weiterhin formbar und entwicklungsfähig. Es passt sich den Lebensbedingungen an. Diese Plastizität genannte Eigenschaft des Gehirns bedeutet, dass ich auch im Alter über meine Lebensgewohnheiten und meine Lebenseinstellung Einfluss darauf habe, wie entwicklungsfähig ich bin, wie positiv oder negativ ich mein Leben erfahre. Und auch der Körper ist noch „formbar“. Regelmäßige Bewegung an der frischen Luft und gezielte Übungen helfen, das Herz-Kreislauf- und das Immunsystem zu stärken sowie die Beweglichkeit und auch die psychische Gesundheit zu fördern.

Welche Bilder vom Alter gibt es in der Wissenschaft?

Dr. Irina Catrinel Crăciun: Der Alterungsprozess ist ein noch recht junges Forschungsgebiet in der Psychologie. Eine der ersten einflussreichen Theorien war das Successful-Ageing-Modell. Es wurde in den 1990er Jahren in den USA entwickelt und basiert auf rigiden Kriterien für einen erfolgreichen Alterungsprozess. Dazu gehören zum Beispiel, dass man im Alter seine Autonomie bewahrt, dass man gut sozial vernetzt ist sowie körperlich und geistig fit bleibt. Das klingt alles sehr logisch, ist aber im wahren Leben für viele nur schwer oder gar nicht zu erreichen. Etwa, wenn man an einer oder mehreren chronischen Krankheiten leidet. Studien zeigten dann, dass auch Menschen mit solchen teils erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen das Altern durchaus auch positiv erleben und sich selbst als glücklich bezeichnen. Also haben die Wissenschaftler andere Kriterien für einen guten, positiv erfahrenen Alterungsprozess aufgestellt. Das Modell Selektive Optimierung mit Kompensation (SOK) des Forscher-Ehepaars Baltes und Baltes geht beispielsweise davon aus, dass die Chance, zufrieden zu altern, wächst, wenn wir in der Lage sind, uns Ziele auszusuchen, die zu uns passen und die das Potenzial haben, uns glücklich zu machen. Die Erfahrungen, die wir im Laufe des Lebens sammeln, können dazu beitragen, dass wir die Möglichkeiten, unsere Ziele zu erreichen, optimieren. Und wenn bestimmte Dinge in den späten Lebensjahren nicht mehr so gut klappen, können wir Einschränkungen kompensieren, indem wir Angehörige, Nachbarn oder Freunde um Unterstützung bitten und soziale Netzwerke oder andere Ressourcen nutzen, um zu erreichen, was wir uns vorgenommen haben.

Und was ist aus Ihrer Sicht besonders wichtig, um gut alt werden zu können?

Dr. Irina Catrinel Crăciun: Altersbilder und die Einstellung zum Altern sind sehr wichtig. Also wie eine Person ihr eigenes Altern sieht und welche Bilder oder Stereotypen vom Alter in einer Gesellschaft verbreitet sind. Es gibt Studien, die zeigen, dass bereits Kinder im Alter von sechs Jahren negative Altersstereotypen verinnerlicht haben. Damit steigt das Risiko, dass sie dazu neigen, ihr eigenes Altwerden negativ zu bewerten. Negative Altersbilder sind manchmal sehr subtil, so dass wir sie gar nicht als solche gleich wahrnehmen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn in einer Werbung für eine Hautcreme gesagt wird, sie helfe, das Altern der Haut zu bekämpfen. Das bedeutet, alt werden ist etwas Schlimmes, das man vermeiden oder bekämpfen sollte. Es ist wichtig, in der Gesellschaft auch positive Altersbilder aufzuzeigen, denn das wirkt sich auf alle Menschen aus, gleich welchen Alters.

Welches Altersbild und welche Einstellung zum Altwerden sind denn zu empfehlen?

Dr. Irina Catrinel Crăciun:Die Einstellungen und Eigenschaftsmerkmale, die einen dabei unterstützen, sind zum Beispiel: Dankbarkeit, Humor, Optimismus, Offenheit für Neues, Nachsicht und Versöhnlichkeit (auch sich selbst gegenüber), Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, Toleranz, Geselligkeit. Es kann schon einen deutlichen Unterschied machen, wie ich einen Tag beginne und beende, wenn ich mir morgens beim Frühstück und abends vor dem Schlafengehen wenige Minuten Zeit nehme und niederschreibe oder reflektiere, wofür ich in diesem Moment dankbar bin. Die Kraft der Gedanken sollte man gerade im Alter nicht unterschätzen. Ein Dankbarkeitstagebuch zu führen ist eine gute Methode, die Wahrnehmung auf positive Gedanken und Dinge zu richten. Mit der Zeit gewöhnen wir uns daran, und der Einfluss negativer Denkmuster lässt automatisch nach.

Was hilft mir dabei, den Blick fort von den Einschränkungen und auf das Machbare zu lenken?

Dr. Irina Catrinel Crăciun: Ganz wichtig ist der Glaube daran, dass man im Alter noch aktiv sein und Ziele haben kann, dass das Leben noch etwas zu bieten hat und Überraschungen bereithält, über die man noch staunen und sich freuen kann. Mit Leben meine ich nicht das, was wir über den Zustand der Welt in den Nachrichten erfahren. Das eigene Leben ist das, was wir selber erfahren, dort, wo wir gerade sind. Und da können wir auch selber aktiv etwas bewegen und Veränderungen herbeiführen. Wir können zum Beispiel Menschen kennenlernen und neue Bekanntschaften oder Freundschaften knüpfen. Oder mit unserem Wissen, unseren Erfahrungen und Fähigkeiten etwas für andere Menschen tun. Das in der Werbung verbreitete Bild von der sogenannten Silver Generation, die immerzu Sport treibt, gut gelaunt ist und strahlend das Leben genießt, trifft, wenn überhaupt, nur auf eine sehr kleine Gruppe zu. Denn natürlich bringt das Alter Einschränkungen mit sich. Umso wichtiger ist es daher, den Blick auf das zu richten, was noch geht, auf die Möglichkeiten, die man noch hat, und diese zu trainieren. Wer nur auf das schaut, was nicht mehr geht, nimmt nicht wahr, was noch möglich ist, und schränkt sich selbst ein.

Und was sollte man tunlichst vermeiden beim Thema Altern?

Dr. Irina Catrinel Crăciun: Zu denken, ich bin alt und deshalb kann ich nichts mehr machen, nichts mehr verändern, es geht eh alles den Bach runter. Viele assoziieren Alter ausschließlich mit Beeinträchtigungen und Krankheiten. Aber nicht nur alte Menschen sind davon betroffen. Jüngere Menschen mit einem chronischen Leiden können ihre Krankheit nicht auf das Alter schieben, sie geraten deshalb nicht in die Ausweglosigkeit einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung: "Ich bin krank, weil ich alt bin. Dass ich alt bin, kann ich nicht ändern. Ich werde mit jedem Tag älter, also wird alles immer schlechter." Mit einer solchen Haltung bleibt man zu Hause sitzen, bewegt sich kaum noch – geistig und physisch – und schafft die Bedingungen, um noch kränker und niedergeschlagener zu werden, entwickelt womöglich eine Depression und Ängste, die es einem zusätzlich erschweren, die Möglichkeiten, die man noch hat, wahrzunehmen. Das negative Altersbild bestätigt sich letztlich selbst, deshalb ist es nicht so leicht, es loszuwerden.

Was kann ich tun, um mich von einem negativen Bild vom Altern zu lösen?

Dr. Irina Catrinel Crăciun:Sich Aufgaben suchen und Pläne schmieden ist ein Weg aus der Negativ-Spirale. Denn über Erlebnisse erfahre ich am überzeugendsten, dass es auch noch etwas anderes gibt, dass mein Leben nach wie vor einen Sinn haben kann. Das müssen keine großen Projekte sein wie eine Weltreise. Es geht eher um Alltagsdinge wie sich mit Freunden zum Kaffeetrinken oder einem Spaziergang zu treffen. Oder andere in der Bewältigung ihres Alltags zu unterstützen, ob in der Familie oder ehrenamtlich als Ersatz-Oma und -Opa oder in der Flüchtlingshilfe.

Soziale Vernetzung fördert die kognitive Beweglichkeit und umgekehrt. Soziale Medien können dabei eine hilfreiche Ergänzung sein, gerade dann, wenn die eigene Mobilität abnimmt. Aber sie können den direkten Kontakt, eine Umarmung oder eine Berührung nicht ersetzen.

Ist das Ziel, glücklich alt zu werden, vermessen oder naiv?

Dr. Irina Catrinel Crăciun: Wenn man sehr jung ist, denkt man, das Glück ist irgendwo in der Zukunft, wenn man älter wird, denkt man, es war in der Vergangenheit. Aber letztendlich ist Glück in den alltäglichen Momenten, egal, wie alt man ist. Wir können lernen, es öfter zu sehen und schöne Momente mit- und füreinander zu schaffen. Das Glück ist manchmal nicht so weit weg, wie wir denken, und wir haben alle die Chance, glücklich alt zu werden.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dr. Crăciun

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