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Fermentierte Lebensmittel: gut für Darm und Immunsystem
Rund hundert Billionen Mikroorganismen leben im menschlichen Darm. Sie bringen es zusammen auf ein Gewicht von ein bis zwei Kilo und bilden die natürliche Darmflora, auch Mikrobiom genannt. Ein intaktes Mikrobiom stärkt unsere körperliche und psychische Gesundheit. Fermentierte Lebensmittel können dafür sorgen, dass es der Darmflora gut geht. Unser Mitglied Miriam Pohl ist Gesundheitsberaterin und weiß, worauf es beim Fermentieren ankommt.
BKKiNFORM: Frau Pohl, wie kamen Sie dazu, Lebensmittel zu fermentieren?
Miriam Pohl: Ein besonderer Beweggrund war mein Mann, der seit fast 20 Jahren Diabetiker ist. Ich wollte ihn ermutigen, Alternativen zu „Zero“-Produkten und ähnlichen Angeboten zu finden – Getränke, die nicht nur zuckerfrei, sondern auch nährstoffreich und natürlich sind. Zu dieser Zeit befasste ich mich in meiner Weiterbildung zur Ganzheitlichen Gesundheitsberaterin intensiv mit Alternativen zu Limonade, Cola und allgemein zuckerhaltigen industriell hergestellten Getränken. So stieß ich auf Wasserkefir, ein fermentiertes Getränk auf Basis von sogenannten Kefirkristallen – und erinnerte mich an ein Getränk aus meiner Kindheit, das meine Mutter immer angesetzt hatte: mit getrockneten Feigen, Wasser, Zucker und Zitrone. Kurz darauf zog auch Kombucha, ebenfalls ein Gärgetränk, in meine Küche ein. Diese fermentierten Getränke waren mein Einstieg in die Welt der Fermentation. Mein Interesse war geweckt, und ich belegte eine Fortbildung zur Fermentista.
Was genau versteht man unter fermentierten Lebensmitteln?
Miriam Pohl: Fermentieren ist im Grunde wie kalt kochen – es macht Lebensmittel länger haltbar und kann ihre Verdaulichkeit verbessern. Dieser Satz aus meiner Fortbildung hat sich mir besonders eingeprägt. Ein bereits nährstoffreiches Lebensmittel wie Weißkohl wird durch Mikroorganismen verstoffwechselt und somit zu einem fermentierten Produkt mit erhöhtem Nährwert (mehr Vitamine und Enzyme) sowie einer besseren Verfügbarkeit von Mineralien und sekundären Pflanzenstoffen. Für die Fermentation braucht es nicht viel: frisches, fein geschnittenes Gemüse, etwas Salz – und Geduld. Doch was dabei entsteht, ist ernährungsphysiologisch bemerkenswert. Durch die Aktivität von Mikroorganismen wie Milchsäurebakterien, Hefen und Schimmelpilzen werden Zucker und andere Inhaltsstoffe umgewandelt. Dabei entstehen Milchsäure, Kohlendioxid, geringe Mengen Alkohol und Aromastoffe, die Geschmack und Konsistenz verändern, die Haltbarkeit verlängern und die Verdaulichkeit verbessern. Gleichzeitig bilden sich probiotische Kulturen, die zur Unterstützung der Darmflora beitragen können. Fermentation kann zusätzlich wertvolle Inhaltsstoffe hervorbringen – z. B. Vitamine, Enzyme sowie bioaktive Stoffe. Ballaststoffe und sekundäre Pflanzenstoffe werden durch Fermentation modifiziert oder besser verfügbar. Welche Stoffe entstehen, hängt tatsächlich vom Ausgangsprodukt (z. B. Milch, Gemüse, Hülsenfrüchte) und vom Verfahren (Milchsäuregärung, alkoholische Gärung, Schimmelpilz-Fermentation) ab. Da jeder Mensch ein individuelles Mikrobiom besitzt, ist Vielfalt bei der Auswahl fermentierter Lebensmittel besonders wertvoll. Die genaue Zusammensetzung der Inhaltsstoffe lässt sich nicht exakt steuern – sie hängt von Mikroben, Temperatur, Zeit und Zutaten ab. Man unterscheidet zwischen spontaner, „wilder“ Fermentation, bei der Mikroorganismen aus der Umgebung wirken, und gezielter Fermentation mit Starterkulturen. Beide Varianten sind auch zu Hause möglich – mit etwas Übung und Hygiene.
Wie unterscheiden sich natürliche von kommerziell hergestellten Produkten?
Miriam Pohl: Vor noch gar nicht langer Zeit, als im Tante-Emma-Laden nur regionale und saisonale Kost erhältlich war, hat man sich für den Winter einen Vorrat in Form von Eingekochtem und auch Fermentiertem im Keller eingelagert. Industriell vorgefertigte, ganzjährige verfügbare Lebensmittel spielten damals kaum eine Rolle. Selbst für sich vorzusorgen zur Gesunderhaltung wurde damals noch bewusst umgesetzt. Industriell hergestellte fermentierte Produkte werden oft pasteurisiert. Das heißt, durch das Erhitzen in der geschlossenen Verpackung wird der Gärungsprozess gestoppt, um sie haltbar zu machen. Durch Pasteurisierung gehen lebende Mikroorganismen verloren, wodurch der probiotische Effekt reduziert wird.
Was macht fermentierte Lebensmittel so gesund?
Miriam Pohl: Die positive Wirkung fermentierter Lebensmittel auf die Darmflora ist wissenschaftlich gut belegt. Sie können helfen, das Gleichgewicht der „guten“ Bakterien im Darm zu fördern – und damit die Verdauung verbessern, das Immunsystem stärken und sogar die Stimmung beeinflussen. Denn über die sogenannte Darm-Hirn-Achse besteht eine Wechselwirkung zwischen unserem Mikrobiom und dem Gehirn. Besonders die Milchsäurebakterien aus Joghurt und Kefir sind in diesem Zusammenhang gut erforscht. Doch die Vorteile gehen weit darüber hinaus. Während der Fermentation entstehen durch die Aktivität von Mikroorganismen zahlreiche gesundheitsfördernde Stoffe. Dazu zählen: Vitamine wie A, B1, B2, B3, B6, B12, C, K2, und Folsäure, Aminosäuren wie Lysin und Glutaminsäure, organische Säuren wie Glucuronsäure und Gluconsäure, Mineralstoffe wie Eisen, Zink und Magnesium. Gleichzeitig können durch Fermentation schädliche Stoffe abgebaut werden – etwa Phytinsäure, Gluten, Pflanzengifte (z. B. in Sojabohnen) oder sogar Pestizidrückstände, wie Studien zu Lactobacillus plantarum zeigen. Fermentierte Lebensmittel tragen zur Anreicherung mit lebenden Bakterien bei, schaffen ein günstiges Milieu für gesundheitsförderliche Mikroorganismen und steigern die Vielfalt im Mikrobiom. Das wirkt sich positiv auf die Darmbarriere, die Verdauung und die Immunregulation aus. Einige Fermente haben zudem entzündungshemmende und antioxidative Eigenschaften.

Worauf sollte ich achten, wenn ich auf meinen Speiseplan vermehrt fermentierte Lebensmittel aufnehmen möchte?
Miriam Pohl: Je nach Ausgangsprodukt und Fermentationsprozess entstehen unterschiedliche Bakterienstämme – mit jeweils spezifischer Wirkung auf unseren Organismus. Deshalb lohnt sich Vielfalt: Sowohl fermentiertes Gemüse als auch probiotische Getränke wie Wasserkefir, Kombucha oder Kwas liefern wertvolle Mikroorganismen für unseren „inneren Garten“. Ein bildliches Beispiel aus der Landwirtschaft hilft, sich die Bedeutung von Vielfalt für unsere Darmflora besser vorzustellen: In einer Monokultur fehlt das natürliche Gleichgewicht – die Felder müssen gespritzt werden, um Schädlinge abzuwehren, das System kann sich nicht selbst regulieren und verliert an Widerstandskraft. Ähnlich verhält es sich mit unserem Darm: Wird er einseitig ernährt, fehlt ihm die Vielfalt an Mikroorganismen, die für ein stabiles, widerstandsfähiges Ökosystem notwendig ist. Es gilt also: Diversität durch gesunde Ernährung + Mikroorganismen = intaktes Ökosystem im Darm. Zusammenfassend lässt sich sagen: Fermentierte Lebensmittel sind ein natürlicher Weg, um die Darmflora zu unterstützen, die Nährstoffaufnahme zu verbessern und die körperliche wie die psychische Resilienz zu stärken.
Welche gängigen fermentierten Lebensmittel empfehlen Sie besonders für eine alltagstaugliche Ernährung?
Miriam Pohl: Aus meiner Sicht sind Joghurt, Kefir, Sauerkraut und Kimchi besonders geeignet für den Einstieg. Sie sind leicht selbst herzustellen, vielseitig einsetzbar und enthalten viele lebendige Kulturen. Kefir ist besonders reich an probiotischen Bakterien, Sauerkraut liefert Ballaststoffe und Vitamin C, und Kimchi bringt zusätzlich Schärfe und Geschmack ins Spiel. Interessant zu wissen ist, dass etwa ein Drittel aller Lebensmittel fermentiert ist. So findet sich bestimmt in jeder Küche etwas Fermentiertes, ohne dass es bewusst als solches gekauft wurde. Kakaobohnen, Kaffee, Schwarzer Tee, Salami, Sauerteigbrot, Sojasauce, Obstessig, Wein und Bier entstehen durch Fermentation. Allerdings werden die enthaltenen Mikroorganismen bei der industriellen Verarbeitung meist pasteurisiert oder anderweitig wärmebehandelt, sodass sie nicht mehr aktiv sind und nur noch eine geringe probiotische Wirkung entfalten.
Wie viel und wie oft sollte man fermentierte Lebensmittel zu sich nehmen? Gibt es empfohlene Richtwerte?
Miriam Pohl:Feste Richtwerte gibt es nicht – fermentierte Lebensmittel sind keine Medikamente. Für den Einstieg empfehle ich ein bis zwei kleine Portionen täglich, etwa ein Glas Kefir oder einen Löffel Kimchi. Wichtig ist, den Körper langsam an die neuen Mikroorganismen zu gewöhnen. Bei Unwohlsein kann die Menge reduziert werden. Aus persönlicher Erfahrung weiß ich: Der säuerliche Geschmack kann anfangs ungewohnt sein. Ein Tipp für Einsteiger: Kefir mit roten oder dunklen Früchten und Banane oder Datteln mischen und mixen, ähnlich wie bei Fruchtbuttermilch. Mit der Zeit habe ich festgestellt, wie sich meine Verdauung verbessert hat und sich mein Geschmacksempfinden verändert – süße Produkte wie Schokoriegel schmecken mir nicht mehr so gut wie früher und lösen sogar ein Brennen im Hals aus.
Welche Tipps würden Sie jemandem geben, der zum ersten Mal selbst Lebensmittel fermentieren möchte?
Miriam Pohl: Mein wichtigster Tipp: Einfach loslegen – mit dem, was einem schmeckt oder einen neugierig macht. Freude und Motivation sind die besten Begleiter beim Fermentieren. Weiter braucht man nur Salz und ein sauberes Glas. Einfach sich bewusst Zeit nehmen, ein Rezept suchen – online, aus einem Buch oder einer Community – und loslegen. Mein erstes Ferment war ein Curry-Chili-Kraut, das ich spontan ausprobiert habe. Während der Gärphase habe ich die Gläser in den Keller gestellt – dort ist die Temperatur konstant und es gibt kein direktes Sonnenlicht. Die entstehenden Gase rochen zwar intensiv, aber das Ergebnis war überraschend lecker.
Was kann man außerdem tun, um die Darmgesundheit zu fördern?
Miriam Pohl: Eine sehr gute Frage – denn es lohnt sich aus vielen Gründen, unsere Darmgesundheit zu unterstützen. Schön wäre es, wenn wir alle diesem sensiblen Organ, das so viel für unsere Gesundheit leistet, mehr Aufmerksamkeit schenken würden. Unser Darm ist eine zentrale Schutzbarriere des Körpers, und er verdient es, mit nährstoffreicher, abwechslungsreicher und möglichst pflanzenbasierter Nahrung versorgt zu werden. Wenn wir ihn stattdessen täglich mit stark verarbeiteten, artfremden Produkten belasten, verliert er an Kraft und Vielfalt. Fermentierte Lebensmittel sind ein wertvoller Baustein – doch sie wirken am besten im Zusammenspiel mit anderen darmfreundlichen Komponenten. Ballaststoffe sind dabei besonders wichtig: Sie gehören zu den Präbiotika, dem Futter für unsere Mikroorganismen, und helfen ihnen, sich im Darm wohlzufühlen und die Darmflora zu stabilisieren. So kann auch unser Immunsystem profitieren, denn immerhin sitzen rund 70 Prozent unserer Immunzellen im Darm. Einige Fermente wiederum können sogar entzündungshemmend wirken und die Abwehrkräfte unterstützen. Auch der pH-Wert im Darm spielt eine Rolle. Fermentierte Lebensmittel enthalten Milchsäure und Milchsäurebakterien, die im Dickdarm zu einem leicht sauren Milieu beitragen können. Dieses Umfeld begünstigt viele nützliche Darmbakterien, während potenziell schädliche Keime sich darin schlechter vermehren. Viele „gute“ Darmbakterien (wie Lactobacillus und Bifidobacterium) bevorzugen ein leicht saures Umfeld. Fermentation lohnt sich also, denn sie ist wie ein „Türöffner“ für Nährstoffe (Vitamine und Mineralstoffe) – sie macht verborgene Schätze zugänglich.
Wichtig zu wissen bei fermentierten Lebensmitteln
Alkohol- und Zuckergehalt:
Bei der Fermentation von zuckerhaltigen Flüssigkeiten – etwa bei Wasserkefir oder Kombucha – entsteht durch Hefen Alkohol. Der Gehalt liegt im Durchschnitt bei etwa 0,2 bis 1 Prozent je nach zugefügtem Zucker, Dauer der Fermentation und Temperatur. Für die meisten Menschen ist das unbedenklich, bei Kindern, Schwangeren oder Personen mit Alkoholunverträglichkeit sollte jedoch Vorsicht geboten sein.
Allergien:
Bei Lebensmittelallergien ist besondere Vorsicht geboten – insbesondere bei gekauften Mischprodukten wie Kimchi oder fermentierten Saucen, die viele Zutaten enthalten. Eine sorgfältige Prüfung der Inhaltsstoffe ist unerlässlich.
Histamine:
Fermentierte Lebensmittel wie gereifter Käse, Sauerkraut oder Kombucha können Histamine enthalten, die bei empfindlichen Personen Kopfschmerzen, Hautreaktionen oder Verdauungsbeschwerden auslösen können. Wer unsicher ist, sollte mit kleinen Mengen beginnen und die Verträglichkeit beobachten.
Immunschwäche:
Menschen mit geschwächtem Immunsystem – etwa durch Erkrankungen oder immunsuppressive Therapien – sollten besonders hygienisch hergestellte oder pasteurisierte Produkte bevorzugen. Eine ärztliche Rücksprache ist in diesen Fällen empfehlenswert, um Risiken durch unerwünschte Keime zu vermeiden.
Laktoseintoleranz:
Viele fermentierte Milchprodukte – etwa Joghurt oder Kefir – enthalten wenig Laktose, da diese während der Fermentation abgebaut wird. Sie sind daher oft besser verträglich als unbehandelte Milchprodukte.
Salzgehalt:
Salz ist ein wichtiger Bestandteil vieler Fermentationsprozesse. Für Menschen mit Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Nierenerkrankungen kann ein hoher Salzkonsum problematisch sein. Hier empfiehlt sich ein maßvoller Verzehr oder das Abspülen vor dem Verzehr, um den Salzgehalt zu reduzieren.

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