GesundesWissen
Herzinfarktsymptome: Geschlechtsspezifische Unterschiede wurden lange vernachlässigt
Laut der Deutschen Herzstiftung haben rund 4,7 Mio. Menschen in Deutschland die Diagnose Koronare Herzkrankheit (KHK). 2023 verstarben rund 120.000 an einer KHK, davon etwa 44.000 an einem akuten Herzinfarkt. Die Zahlen zeigen: Herzgesundheit ist ein wichtiges Thema. Schaut man genauer hin, etwa auf die Symptomatik bei Herzinfarkten, wird deutlich, dass sie sich bei Männern und Frauen oft unterscheidet. Ein lange Zeit vernachlässigter Aspekt, der schwerwiegende Folgen haben kann. Wir sprachen mit Dr. Bianca Dobre, Oberärztin an der Kardiologie des St. Josefs-Hospitals in Wiesbaden.
BKKiNFORM: Frau Dr. Dobre, welche Symptome deuten auf einen Herzinfarkt hin und wie unterscheiden sie sich bei Männer und Frauen?
Dr. Bianca Dobre: Die klassischen Beschwerden bei einem Herzinfarkt entsprechen der typischen Symptomatik einer Angina Pectoris, also einer Durchblutungsstörung des Herzens. Sie macht sich zumeist durch ein von Angst begleitetes Beklemmungsgefühl (lateinisch: Angor) in der Brust (lateinisch: Pectoris) bemerkbar, zusammen mit starken Schmerzen, die in den linken Arm oder die linke Schulter ausstrahlen. Bei Frauen ist dies jedoch nicht immer der Fall. Häufig verspüren sie „nur“ einen Druck im Oberbauch mit Ausstrahlung in den Brustkorb, eine unerklärliche Schwäche, Luftnot oder Übelkeit.
Welche Folgen kann diese unterschiedliche Herzinfarktsymptomatik bei Frauen und Männern haben?
Dr. Bianca Dobre: Aufgrund der eher atypischen Symptomatik bei Frauen wird manchmal zunächst eine Gastritis, also ein Mageninfekt, diagnostiziert. Dadurch verzögert sich die medizinische Behandlung der eigentlichen Ursache, also des Herzinfarktes. Ein schnelles medizinisches Eingreifen ist hier aber besonders wichtig. Denn die unzureichende Versorgung mit sauerstoffreichem Blut hat zur Folge, dass Herzmuskelgewebe absterben kann. Je länger dieser Zustand dauert, desto stärker – und womöglich irreversibel – kann das Herz geschädigt werden. Im schlimmsten Fall kommt es zum Tod. Ein zusätzliches Risiko ist, dass Frauen im Alltag dazu tendieren, gesundheitliche Bedenken beiseitezuschieben und die Symptomlast zu unterschätzen. Auch das verhindert eine möglichst schnelle Behandlung.
Welche Maßnahmen der Ersten Hilfe sind bei einem Herzinfarkt besonders wichtig?

Dr. Bianca Dobre: Bei Verdacht auf einen Herzinfarkt sollte man immer den Notarzt über die 112 rufen. Die Erste-Hilfe-Maßnahmen sind bei Frauen und Männern gleich. Erleidet jemand in Ihrer Umgebung einen Herzinfarkt, gilt Folgendes: Ist die Person bei Bewusstsein, sollte man sie ansprechen und beruhigend auf sie einwirken, den Oberkörper hochlagern und bis zum Eintreffen des Notarztes bei ihr bleiben. Ist die Person bewusstlos und atmet auffällig oder gar nicht, ist die geeignete Sofortmaßnahme eine Herz-Lungen-Wiederbelebung – und zwar bis zum Eintreffen des Notarztes oder der Notärztin.
Gibt es spezielle Risikofaktoren für Herzinfarkte bei Frauen?
Dr. Bianca Dobre: Eine besondere Form des Herzinfarktes tritt bei Frauen häufiger auf als bei Männern. Es handelt sich dabei um das Tako-Tsubo-Syndrom (auch Broken-Heart-Syndrom genannt oder Stress-Kardiomyopathie), bei dem die Fähigkeit der linken Herzkammer, sich zusammenzuziehen und sauerstoffreiches Blut in den Körperkreislauf zu pumpen, eingeschränkt ist. Das Tako-Tsubo-Syndrom ist deutlich häufiger bei Frauen, insbesondere bei Frauen in oder kurz nach den Wechseljahren. Sie machen schätzungsweise bis zu 90 Prozent aller Fälle aus. Stresshormone und der sinkende Östrogenspiegel während der Menopause könnten dabei eine Rolle spielen, obwohl die genauen Gründe dafür noch erforscht werden.
Unterscheidet sich die Behandlung von Herzinfarkten bei Frauen und Männern?
Dr. Bianca Dobre: In der Behandlung gibt es zurzeit keine Unterschiede. Die Pathophysiologie des Herzinfarktes, also die physiologischen Vorgänge im Körper infolge der Störung, nimmt bei Frauen und Männern denselben Verlauf. Das gilt daher ebenfalls für die spezifische Behandlung von Ursachen wie Bluthochdruck, Übergewicht, Bewegungsmangel, Stress, Rauchen oder Fettstoffwechselstörung.
Warum wurde der Unterschied zwischen den Herzinfarktsymptomen bei Frauen und Männern so lange nicht erkannt?
Dr. Bianca Dobre: Der Unterschied wurde lange nicht ausreichend thematisiert, weil die medizinische Forschung und Praxis lange Zeit fast ausschließlich auf Daten von männlichen Probanden basierten. Weibliche Besonderheiten wurden dadurch übersehen. Hinzu kommt, dass Frauen oft ihre Symptome nicht ernst genug nehmen und den Weg zur Ärztin oder zum Arzt hinauszögern. Der Herzinfarkt wird oft immer noch als typische Männerkrankheit gesehen, Symptome bei Frauen werden dagegen häufig als emotionale Probleme oder Wechseljahresbeschwerden abgetan. Zudem leben ältere Frauen öfter allein und haben im Notfall niemanden, der sofort Hilfe holen könnte.
Was hat die Medizin in den letzten Jahren unternommen, um das Bewusstsein für geschlechtsspezifische Unterschiede bei Herzinfarkten zu schärfen?

Dr. Bianca Dobre: Die Medizin hat das Bewusstsein für geschlechtsspezifische Unterschiede bei Herzinfarkten und anderen Erkrankungen durch die Förderung der Gendermedizin geschärft, die sich auf die Verbesserung von Prävention und Diagnose konzentriert. Die zunehmende Berücksichtigung biologischer und sozio-psychologischer Faktoren verbessert so die Versorgung für beide Geschlechter.
Welche aktuellen Forschungsansätze gibt es, um die Diagnose und Behandlung von Herzinfarkten bei Frauen zu verbessern?
Dr. Bianca Dobre: Ein Beispiel ist hier die Entwicklung geschlechtsspezifischer KI-Modelle zur Risikobewertung und personalisierten Behandlungsplanung. Sie könnte in der Zukunft eine große Rolle spielen. Ein vielversprechender Ansatz ist auch die Optimierung der medikamentösen Therapie, beispielsweise durch eine gewichts- und nierenfunktionsabhängige Dosierung von Gerinnungshemmern und die Anpassung der Normwerte an das weibliche Geschlecht. Verbesserte diagnostische Verfahren, die auf die speziellen weiblichen Herzerkrankungen wie das oben genannte Tako-Tsubo-Syndrom eingehen, sind leider noch nicht ausreichend entwickelt.
Gibt es weitere Erkrankungen neben dem Herzinfarkt, bei denen deutliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern bestehen?
Dr. Bianca Dobre: Ja, viele Autoimmunerkrankungen oder neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose, rheumatoide Arthritis und Hashimoto treten bei Frauen deutlich häufiger auf. Das gilt auch für psychische Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen, die sich bei Frauen auch anders äußern können als bei Männern. Und bei Schlaganfällen zeigen Frauen neben den klassischen Symptomen wie Lähmungserscheinungen, Taubheit oder Sprachstörungen auch häufiger atypische Symptome, das sind zum Beispiel Kopfschmerzen, Übelkeit, Schluckbeschwerden, Unwohlsein oder Gliederschmerzen. Wie beim Herzinfarkt kann dies eine Diagnose hinauszögern. Daher gilt auch hier: Bei Verdacht auf einen Schlaganfall über den Notruf 112 schnell ärztliche Hilfe suchen.
Wie können Ärzte und Laien besser darin geschult werden, die Symptome bei Frauen frühzeitig zu erkennen?
Dr. Bianca Dobre: Eine spezifische Ausbildung und fortlaufende Schulungen zu geschlechtsspezifischen Krankheitsbildern und Symptomen könnten dazu beitragen, wobei ich in der Zentralen Notaufnahme unserer Klinik bereits beobachtet habe, dass im Team auf die spezifischen Symptome geachtet wird. Bei der Herzinfarkt-Prävention könnte man Laien besser über die Wichtigkeit von Vorsorgeuntersuchungen informieren und intensiver über die spezifischen und allgemeinen Symptome, die auf einen Herzinfarkt deuten können, aufklären.
Frau Dr. Dobre, vielen Dank für das Interview!
Symptome bei Herzinfarkt
Angesichts der Vielzahl möglicher Symptome bei einem Herzinfarkt ist es hilfreich, zwischen typischen und unspezifischen Anzeichen zu unterscheiden. Unspezifisch bedeutet, dass diese Symptome auf mehrere Erkrankungen hindeuten können. Sie treten häufig bei Frauen auf, während bei Männern öfter die typischen Symptome vorliegen. Bei Verdacht auf einen Herzinfarkt ist schnelle Hilfe lebenswichtig (Notruf 112).
Typische Symptome (häufig bei Männern)
- starker Druck auf der Brust (Brustenge)
- heftige Schmerzen, meist im Brustkorb oder hinter dem Brustbein
- ausstrahlende Schmerzen in Arm (häufig links), Schulterblätter, Nacken, Hals, Kiefer, Oberbauch oder Rücken
- Existenzangst, ausgelöst durch die Schmerzen
- Taubheitsgefühl im Oberkörper, eventuell mit Kribbeln in Arm, Hand oder Fingerspitzen (häufig links)

Unspezifische Symptome (häufig bei Frauen)
- Atemnot
- Angstschweiß, Kältegefühl, blasse Haut
- Schmerzen im Oberbauch
- Übelkeit, Erbrechen
- Schwächegefühl
- Schwindel
- Bewusstlosigkeit

Zusätzliche Leistungen: Herzdiagnostik
Für die Diagnose einer Erkrankung der Herzkranzgefäße bieten wir unseren Versicherten zwei Verträge aus dem Bereich der Besonderen Versorgung an. Die hoch präzisen bildgebenden Diagnostikverfahren sind anders als die herkömmliche Katheteruntersuchung des Herzens nicht-invasiv und schonend:
- MEDIQX – Kardio-Computertomographie und Kardio-MRT bei Verdacht auf chronische koronare Herzerkrankung
- Kardiologie – Grönemeyer Institut Bochum: Volumen-Computertomographie








